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Richter äußert “Hochachtung”: Yasmin Acars Rede vor Gericht

Von Tarek Baé
30.07.2025
in Geschichte, Nachrichten
Richter äußert “Hochachtung”: Yasmin Acars Rede vor Gericht

Yasemin Acar, die deutsche Menschenrechtsaktivistin die mit der Gaza Freedom Flotilla nach Gaza segeln wollte und von Israel verschleppt wurde, stand nach ihrer Rückkehr in Berlin vor Gericht. Unter anderem wegen des Protestrufs „From The River to the Sea, Palestine will be free“. Dafür wurde sie freigesprochen.

Wir veröffentlichen ihre Rede vor Gericht. Worte, die dafür sorgten, dass selbst der Richter sagte, er hätte „Hochachtung für ihren Einsatz“.

“Ich nehme meine Verantwortung ernst, wenn ich heute hier stehe. Doch was hier verhandelt wird, ist mehr als eine einzelne Handlung. Es geht um die Frage, wie wir als Gesellschaft mit Protest umgehen, wenn Menschen auf Unrecht aufmerksam machen.

Als Frau mit Migrationshintergrund habe ich bereits in meiner Kindheit erfahren, was institutionelle Diskriminierung bedeutet. Ich habe miterlebt, wie meine Eltern bei der Ausländerbehörde erniedrigend behandelt wurden, wie existenzielle Ängste durch staatliche Hürden zum Alltag gehörten. In der Grundschule wurden wir Kinder mit Migrationshintergrund oft ausgegrenzt. Ich erinnere mich an Situationen, in denen wir, auf dem Weg zum Gottesdienst, gezwungen werden sollten, Schweinefleisch zu essen. Es wurde gelacht, wir wurden verspottet, erniedrigt – von siebenjährigen deutschen Kindern.

Wie gelangen solche rassistischen Haltungen in so junge Köpfe? Die Antwort ist klar: Es sind tief verwurzelte gesellschaftliche Stigmatisierungen, die durch Familien, durch einseitige mediale Darstellungen, durch ein Bildungssystem, das strukturellen Rassismus nicht benennt, und durch gesellschaftliche Machtverhältnisse produziert und weitergegeben werden. Es sind Strukturen, in denen „anders sein“ mit „weniger wert sein“ gleichgesetzt wird. Diese Strukturen machen Rassismus unsichtbar für jene, die ihn nicht erleben, und alltäglich für jene, die ihn selbst zu spüren bekommen.

Mein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn kommt nicht von ungefähr. Er kommt aus meinen eigenen Erfahrungen als Betroffene von Ausgrenzung und Diskriminierung. Ich habe früh gelernt, was es bedeutet, ungerecht behandelt zu werden – nicht wegen meines Handelns, sondern wegen meiner Herkunft, meines Glaubens, meines Aussehens. Und ich habe gesehen, dass viele andere Menschen ähnliche Erfahrungen machen mussten, einfach weil sie in den Augen der Mehrheitsgesellschaft „anders“ waren.

Diese Erfahrungen haben mir gezeigt, dass Widerstand nicht nur berechtigt, sondern notwendig ist. Nicht wegzusehen, sondern sich aktiv für Veränderungen einzusetzen – für eine Gesellschaft, in der Würde und Gleichberechtigung keine Frage der Herkunft sind.

Doch in Deutschland wird bis heute darüber verhandelt, wer als „deutsch“ gilt, während den „anderen“ permanent abverlangt wird, ihre Zugehörigkeit unter Beweis zu stellen. Wer bestimmt eigentlich, wer dazugehört und wer nicht? Wer entscheidet, wessen Identität als Teil dieser Gesellschaft akzeptiert wird – und wessen nicht? Uns hat man nie gefragt, wie wir leben wollen. Stattdessen werden Bedingungen gestellt.

Aber Zugehörigkeit entsteht nicht durch erzwungene Anpassung, sondern durch gegenseitige Anerkennung. Diese Anerkennung bleibt jedoch aus, wenn Menschen mit Migrationsgeschichte pauschal unter Verdacht gestellt werden – ob als „Integrationsverweigerer“, „Clan-Kriminelle“ oder gar als „importierte Antisemiten“.

Während Wohnungen von Migrant:innen brannten, Moscheen attackiert wurden, unschuldige Familien von Spezialeinheiten brutal überfallen wurden, sprach die Politik lieber von „Integrationsdefiziten“ und „fehlender Anpassung“. Während Shisha-Cafés niedergeschossen werden und ganze Gemeinschaften unter Generalverdacht geraten, wird uns auch noch unterstellt, wir hätten Antisemitismus „importiert“. Als ob dieses Land nicht genug mit seinem eigenen Antisemitismus zu kämpfen hätte. Wir sollten uns integrieren, während wir gleichzeitig systematisch entmenschlicht und ausgegrenzt werden.

Integration ist in diesem Land zu einem Chiffre einer neuen Form des Rassismus geworden. Ein Rassismus, der sich nicht mehr nur offen in neonazistischen Parolen zeigt, sondern in scheinbar neutralen politischen Begriffen. In Programmen, die uns signalisieren: Ihr seid immer noch fremd, immer noch nicht richtig hier.

Der wachsende antimuslimische und antipalästinensische Rassismus trifft Menschen wie mich, Menschen aus marginalisierten Gruppen, Palästinenser:innen, mit voller Wucht. Unsere Existenz findet statt in einem Klima der Ausgrenzung, das nicht nur von alltäglichem Rassismus geprägt ist, sondern auch von globalen Machtverhältnissen, die durch imperialistische Gewalt aufrechterhalten werden. Diese Gewalt zeigt sich in Kriegen, Besatzung, ökonomischer Ausbeutung und im politischen Schweigen, wenn unsere Stimmen unterdrückt werden.

Deshalb ist der Kampf gegen Rechts, gegen Rassismus, gegen Kolonialismus, für eine solidarische und gerechte Gesellschaft und für ein freies Palästina auch mein Kampf. Für eine Welt, in der niemand erst seine Daseinsberechtigung beweisen muss, um überhaupt leben oder mitreden zu dürfen.

Weil ich mich für das palästinensische Volk und dessen Freiheit einsetze und nicht schweige, werde ich von der BILD-Zeitung als „Judenhasserin“ diffamiert. Diese Artikel, diese Hetzkampagnen, werden mir in Form von Morddrohungen per Post geschickt. Ausdrucke dieser Zeitungsartikel, mit Drohungen versehen, liegen in meinem Briefkasten. Unendlich viele Hassnachrichten, in denen gesagt wird, ich solle vergewaltigt, erschossen, erstochen werden.

Ich werde auf der Straße angegriffen, meine Wohnung wird gestürmt, ich werde von Polizeikräften auf Demonstrationen brutal herausgezogen. Ich weiß, dass mein Engagement unbequem ist. Aber genau darin liegt die Aufgabe einer Aktivistin: unbequeme Wahrheiten auszusprechen, bestehende Strukturen zu hinterfragen und den Mut zu haben, gegen Unrecht aufzustehen.

Ich erhalte E-Mails vom LKA, das wissen will, ob ich ein „Sicherheitsgespräch“ führen möchte. Warum? Weil sie wissen, dass die Hetze, die gegen mich und so viele andere läuft, eine reale Lebensgefahr mit sich bringt. Diese Kontaktaufnahme kommt nicht von mir, sondern aus einem Apparat, der genau weiß, welche Dynamik er entfacht hat.

2016 habe ich Menschen unterstützt, die vor Krieg und Elend geflohen sind, in einem System, das ihnen statt Schutz vor allem Hürden bot. Ich war Lehrerin, Seelsorgerin, Sozialarbeiterin – weil der Staat versagte. Und weil diese Menschen auch vor deutschen Waffen geflohen sind.

2021 gründete ich Berlin Arrival Support. Als der Krieg in der Ukraine begann, organisierten wir Hilfe, weil der Staat überfordert war. Ich stand an den Grenzen, habe Mütter und Kinder in Sicherheit gebracht. Solange ich mich auf „die richtigen Geflüchteten“ konzentrierte, wurde ich für mein Engagement gefeiert. Doch als ich dieselben Prinzipien auf Palästina anwandte – gegen Besatzung, gegen Völkermord, für die Entrechteten –, wurde mein Engagement plötzlich kriminalisiert. Auch von den Medien, die mich einst lobten und mich nun seit zwei Jahren diffamieren.

Worum geht es? Es geht darum, dass ich nicht schweige, weil ich mich nicht beuge. Der Kampf gegen Krieg, Rassismus und Unterdrückung endet nicht dort, wo es politisch unbequem wird.

In Palästina findet ein Völkermord statt, der von internationalen Organisationen dokumentiert ist und über den hier systematisch geschwiegen wird. Ein Völkermord, der von Deutschland mitfinanziert und politisch unterstützt wird. Es geht darum, dass ich sage: Menschenrechte sind universell.

Ich akzeptiere nicht, dass unsere Regierung Waffen an ein Regime liefert, das systematisch zivile Infrastruktur zerstört, gezielt Hunger als Kriegswaffe einsetzt und mit der finanziellen, militärischen sowie politischen Unterstützung der westlichen Staatengemeinschaft das humanitäre Völkerrecht bricht. Deutschland muss sich an das Völkerrecht halten – tut dies aber offensichtlich nicht.

Deutschland verletzt nicht nur das Völkerrecht, sondern missachtet auch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Der schleichenden Abschaffung völkerrechtlicher Prinzipien nach außen entsprechend, findet nach innen eine krasse autoritäre Wende statt. In den letzten 20 Monaten werden Demonstrationen systematisch kriminalisiert. Menschen, die für ein freies Palästina protestieren, werden nicht als Bürger:innen wahrgenommen, sondern als potenzielle Straftäter.

Medien und staatliche Institutionen schaffen durch symbolische Resolutionen ein Narrativ, das uns fälschlich Antisemitismus unterstellt. Diese Symbolpolitik ersetzt echte Rechtsprechung und dient allein der gesellschaftlichen Einschüchterung.

Gleichzeitig erleben wir massive Polizeigewalt gegen Protestierende – eine Gewalt, die meist folgenlos bleibt. Weil sie von jenen aufgeklärt und verfolgt werden soll, die selbst verantwortlich sind.

Diese Strukturen erinnern mich an internationale Beispiele: Auch der Staat Israel untersucht seine Kriegsverbrechen in Eigenverantwortung – eine Praxis, die von Menschenrechtsorganisationen weltweit kritisiert wird. Ein Machtverhältnis, in dem Täter gegen sich selbst ermitteln sollen, kann nie zu Gerechtigkeit führen.

Neukölln, mit der größten palästinensischen Diaspora in Berlin, wird zunehmend kriminalisiert. Es gab und gibt Tage, an denen sich die Polizei dort aufführt wie eine Besatzungsmacht. Das Bild, das sie dort abgibt, erinnert in verblüffender Weise jenem der israelischen Soldaten an den Checkpoints im Westjordanland. Menschen werden pauschal kontrolliert – allein wegen ihrer Herkunft oder eines Kulturzeichens wie der Kuffiyeh. Vielleicht das letzte Symbol ihrer Identität, an dem sie – die Palästinenser:innen der Diaspora – sich festhalten können.

Stellen Sie sich vor: Sie kommen aus Gaza, haben gerade von der Bombardierung Ihrer Familie erfahren und werden hier als Antisemit diffamiert, weil Sie Ihr demokratisches Recht einfordern, um öffentlich auf das Leid Ihrer Familie aufmerksam zu machen. Warum diese Diffamierungen? Ganz einfach: weil Sie Palästinenser:in sind. Was bleibt, ist Leere und Isolation, fern von Ihrer Familie. Ohne Gerechtigkeit.

Die Medien spielen dabei eine zentrale Rolle. Sie veröffentlichen Gesicht und Namen eines 15-jährigen Jungen aus Gaza, der gerade seinen Bruder durch einen Scharfschützen verloren hat. Sie verfolgen, schikanieren, diffamieren Palästinenser:innen. Ist das das Land, das einst „Nie wieder“ sagte? Ist das die Presse, die eine Säule der Demokratie sein sollte? Warum darf ich über ukrainisches Leid sprechen – werde aber kriminalisiert, wenn ich palästinensisches Leid sichtbar mache?

Diese Doppelmoral zeigt: Solidarität wird politisch verordnet. Sie ist an Nationalität, Hautfarbe und Opportunität gebunden. Wer das ausspricht, wird verfolgt.

Zu dem Vorwurf, mir werde der Satz „From the river to the sea, Palestine will be free“ als antisemitisch ausgelegt: Niemand fragt uns, was wir damit meinen. Stattdessen legt man uns Worte in den Mund, schiebt uns Schuld zu, diffamiert uns als importierte Antisemiten – weil es bequemer ist, den Antisemitismus als etwas von außen zu betrachten.

Ich kann nur für mich sprechen: Vom Fluss bis zum Meer bedeutet für mich Gerechtigkeit und Gleichberechtigung für alle. Es bedeutet ein Palästina mit Selbstbestimmung, ein Palästina, das existiert. In dem Vertriebene zurückkehren können. In dem keine Häuser mehr zerbombt werden, keine Kinder verhungern, keine Mütter unter Trümmern gebären, keine Väter Gräber mit bloßen Händen ausheben müssen. Ein Palästina ohne Besatzung, ohne Apartheid, ohne Kolonialmächte und ohne jene, die das palästinensische Leid für ihre Interessen instrumentalisieren.

Ich stehe hier, weil ich das sage, was in diesem Land nicht gesagt werden darf: Menschenrechte sind nicht verhandelbar. Besatzung ist keine Selbstverteidigung. Schweigen angesichts von Völkermord ist Beihilfe.

Ich lehne Gewalt zur Konfliktlösung ab. Aber Gewalt beginnt nicht erst mit Bomben oder Polizeischlägen. Gewalt beginnt dort, wo Menschen systematisch entrechtet, erniedrigt und unsichtbar gemacht werden. Polizeigewalt ist kein Ausnahmezustand – sie ist ein kalkuliertes Machtinstrument.

Wenn jahrzehntelang nur die Mächtigen Gewalt anwenden dürfen, ist es naiv zu glauben, Unterdrückte würden ewig stillhalten. Ich sage nicht, Gegengewalt sei richtig. Aber Ignoranz gegenüber struktureller Gewalt macht Eskalation unausweichlich.

Meine Arbeit als Menschenrechtsaktivistin richtet sich genau gegen diese Eskalation. Ich kämpfe für universelle Menschenrechte – weil ich weiß: Die Doppelmoral trifft immer die Schwächsten.

Trotz der Repression mache ich weiter. Ich muss weitermachen. Denn Gaza wird systematisch ausgehungert. Ich habe das Privileg, hier sprechen zu dürfen – während das palästinensische Volk systematisch dehumanisiert wird. Was mir passiert, ist nichts im Vergleich zu dem, was sie erleiden.

Nicht ich sollte mich vor Gericht verteidigen müssen – sondern wir sollten gemeinsam die Rechte jener verteidigen, die das schlimmste Unrecht erfahren. Ich stehe hier, weil ich an die Würde jedes Menschen glaube. Weil Gerechtigkeit nicht selektiv sein darf. Weil wir nicht wegschauen dürfen, wenn Unrecht geschieht.”

Die Menschenrechtsaktivistin Yasemin Acar wurde letztendlich verurteilt, sie muss 120 Tagessätze zahlen. Unter anderem wegen Beamtenbeleidigung.

Mit ihrem Protest und ihrem Aktivismus will sie weitermachen, sagt sie. „Bis die Ungerechtigkeit endet“.


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Tarek Baé

Tarek Baé

Tarek Baé ist Journalist und Autor aus Berlin. Er widmet sich der Medienarbeit mit Schwerpunkt Rassismus und Islam in Deutschland. Die Frage nach Zugehörigkeit und Teilhabe zieht sich wie ein roter Faden durch seine Publikationen. 2021 begründete er das Medium Itidal, dessen Chefredakteur er ist, als neue Plattform für ungehörte Perspektiven.

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