Liebe Influencer, liebe „Promis“,
es muss klar sein, dass man auch dann, wenn man keine Position zu Gaza bezieht, bereits eine Position bezogen hat. Das ist nicht irgendein Krieg, ein beliebiger Konflikt oder eine zu komplizierte Angelegenheit. Es ist der Genozid unserer Zeit. Zu ihm schweigen heißt automatisch, ihn zu relativieren und geschehen zu lassen. Das ist eine Position. Das ist fehlende Solidarität, um weiter Partnerschaften, Deals und Fördersummen zu haben. Die Alternative dazu ist Menschlichkeit. Dazu gehört der Mut und der Anstand, diesen schutzlosen palästinensischen Zivilisten, die jeden Tag grausam von Israels Regime entmenschlicht werden, ihre Menschlichkeit zuzusprechen. Wenn das zu viel verlangt ist, dann ist klar, wofür man steht. Und wofür nicht. Es ist nie zu spät, das Richtige zu tun.
Reden wir nicht um den heißen Brei. Es ist bestenfalls Angst ums Geschäft und schlimmstenfalls Ignoranz. Schweigen ist hier aber keine Option. Kein normaler Mensch ist gezwungen, wirklich bahnbrechend kritischen Journalismus zu teilen oder Israels Verbrechen zu benennen. Das müssen Politik und Medien tun. Man kann selbst einfach regelmäßig Beiträge der UN oder von Ärzte ohne Grenzen, Amnesty oder Human Rights Watch teilen. Aber klar, selbst davon kann man aktuell angegriffen werden. In diesem Propagandakrieg wird bloßes Einstehen für Menschenrechte bereits stigmatisiert und kriminalisiert. Doch einen solchen „Shitstorm“ sollte das wert sein. Lasst euch das von jemandem sagen, der durch zig Attacken durch ist. Das ist Journalismus für mich wert. Das ist mein Vollzeitberuf, von dem ich überzeugt bin.
Es ist so einfach, Dinge wie „All Eyes on Rafah/Gaza“ zu posten. Weil es im Grunde genommen wenig Belastbares aussagt. Es lenkt aber zumindest die Aufmerksamkeit dorthin.
Es ist so einfach, Dinge wie „Ceasefire“ zu posten. Weil es nichts Konkretes benennt. Dadurch wird jedoch die Forderung verbreitet, dass Krieg überhaupt enden soll.
Es ist das Mindeste. Das Einfachste, woran alles und jeder teilnehmen kann. Und dafür ist es nie zu spät. Ja, wenn man sieben Monate später plötzlich aufwacht, wird es Kritik und Häme geben. Da muss man durch. Mit der richtigen Absicht das Richtige zu tun, lohnt sich aber immer. Daran sollte man fest glauben. Und falsches Mitleid für berechtigte Kritik sollte auch niemand erwarten.
Kommen wir kurz zu den Blocklisten, die gerade rumgehen. Sie sind eine wirklich beeindruckende Protestform. Sie entstehen – und das ist ok so – aus Unzufriedenheit einzelner Personen. Ich möchte hier einen kritischen Gedanken ansprechen. Nach welchen Maßstäben wird entschieden? Es sind persönliche, subjektive, vielleicht verzerrte Wahrnehmungen, die verbreitet werden können. Wer entscheidet, wer auf eine Blockliste kommt? Oder darüber, wer sich geäußert hat und wer nicht? Woher die Autorität und Expertise? Und wie? Genügt es, in der Vergangenheit mal was gesagt zu haben? Wie viel? Zählen nur Beiträge, keine Storys? Haben nicht auch Leute etwas gesagt, die weiterhin mit anderem Unsinn auftreten? Zählt strategisch Gesagtes? Das ist alles nicht ganz irrelevant.
Ich sehe teilweise Leute auf Listen, von denen ich weiß, dass sie dort nicht raufgehören. Und ich sehe Leute fehlen, die ich als opportunistische Schausteller erlebt habe. Ich beziehe mich jetzt hierbei explizit auf den deutschen Kontext. Würde ich entscheiden müssen, wer auf Blocklisten gehört, würden meine persönlichen Erfahrungen mit gewissen Personen eine Rolle spielen. Und das ist der springende Punkt. Es kann schnell gehen, dass es nicht um sachliche Kritik, sondern um persönliche Sympathien geht. Es wirkt vereinzelt so, als käme manchen die Möglichkeit gelegen, Leute zu mobben, die man schlichtweg nicht mag, indem man sie anprangert. Überhaupt finde ich, solche „Cancel Culture“ sollte nicht ganz so leichtfertig übernommen werden. Zumal in den USA – wo die Blocklisten begonnen haben – einflussreiche Leute wie Kim Kardashian ins Visier genommen werden. Vergleicht das mal mit einigen irrelevanten Figuren, die hier kritisiert werden.
Was wir jetzt erleben, sind zahlreiche Influencer und „Promis“, die Friedenstauben und kurze unpolitische Aussagen posten. Leute, die mit Kufiyya-Muster posieren, ohne konkrete Forderungen an die Bundesregierung zu stellen oder Israels Verbrechen klar zu benennen. Leute, die möglichst allen profitablen Seiten gefallen wollen. Wenn das das Ziel ist, ok, dann ist die Aktion erfolgreich. Wir dürfen nicht vergessen: Menschen, die wirklich substanzielle Inhalte und Positionen bieten, zahlen den Preis dafür mit ihrem Namen. Sie sind es, denen wir den Rücken stärken sollten. Sie wurden vom Mainstream gecancelt. Und die ersten, die sich von ihnen fernhalten, sind jene Influencer und „Promis“. Eine ebenso deutliche Form der Kritik wäre also nicht nur das Blockieren, sondern das öffentliche Anprangern, dass sie nicht solidarisch mit denjenigen sind, die die wirkliche Arbeit leisten.
An die Kritisierenden: Seien wir ehrlich und logisch. Die Welt ist nicht angewiesen auf politische Einschätzungen von menschlichen Werbeträgern, deren gesamtes Geschäftskonzept auf dem Versuch basiert, einer Followerschaft zu gefallen und diese zu unterhalten.
Das ist nicht so hart gemeint, wie es klingt. Gemeint ist damit, dass man von Polizisten ja auch nicht erwartet, dass sie eine Magen-OP ausführen. Es gibt die richtigen Leute für alles.
Ich würde prinzipiell immer dafür plädieren, sich mit dem Richtigen zu beschäftigen, indem man die richtigen Leute größer macht, anstatt sich aufs Falsche zu fokussieren. Leute, die mit dem Wind gehen, machen am Ende eh das Populäre nach. Macht also das Richtige populär und macht die Falschen nicht „berühmt“.
Zurück zum Sinn und Nutzen: Israels Regierung wird nicht „All Eyes on Rafah“ lesen und plötzlich zur Besinnung kommen. Klar. Es geht bei Protest, Journalismus und Aktivismus immer um eines: Interessen zu verdeutlichen. Ziel ist es explizit, dass die eigene Regierung und insbesondere auch die Gesellschaft allgemein sieht und spürt, was Sache ist. Das nennt man Politik. Auch „unpolitisch“ zu sein, ist Politik. Ob man will oder nicht. Die Gleichung ist simpel: Entweder du machst deine Interessen deutlich oder jemand anderes tut es. Und Andere können davon profitieren, dass du es nicht tust. Es geht um Menschlichkeit. Das wertvollste Interesse, das man haben kann. Es muss klar sein, dass es keine Alternative geben kann, als dafür einzustehen. Mut kann man niemandem aufzwingen. Aber ermutigen durch eigenen Mut, das kann jeder Mensch. Und darum geht es. Immer und immer wieder.