Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat dem Antrag Südafrikas zugestimmt und seinen Beschluss verkündet:
- Der IGH habe Zuständigkeit, Israels Verteidigung wurde zurückgewiesen
- Der Verdacht, Israel begehe einen Genozid/Völkermord, wurde bestätigt. Israels Verbrechen in Gaza, fielen „unter die Genozid-Konvention“
- Palästinenser seien „eine zu schützende Gruppe unter der Genozid-Konvention“
- Israels Führung habe die Absicht durch „entmenschlichende Äußerungen“ selbst ausgesprochen
- Der Notwendigkeit des Eilantrags wird zugestimmt. Israel soll nun: Humanitäre Hilfe für Gaza zulassen und es sollen „Maßnahmen ergriffen werden, um den Völkermord im Gazastreifen zu verhindern und zu bestrafen“
Jetzt wird sich zeigen, ob Israel und seine Verbündeten, primär die USA und unsere Bundesregierung, eine regelorientierte Weltordnung achten.
Im Beschluss heißt es in Punkt 30:
„(…) Nach Ansicht des Gerichtshofs sind mindestens einige der Handlungen und Unterlassungen, die Israel in Gaza laut Südafrika begangen haben soll, geeignet um unter die Vorschriften der Genozid-Konvention zu fallen.“
Sowie unter Punkt 31 und 32:
“In Anbetracht des Geschehens kommt das Gericht zum Entschluss, dass es, prima facie (bis auf Widerruf), die juristische Zuständigkeit hat, gemäß Artikel IX der Genozid-Konvention, den Fall zu verfolgen”
“In Anbetracht der obigen Schlussfolgerung, ist der Gerichtshof der Ansicht, dass er dem Antrag Israels, wonach der Fall von der General List gestrichen werden soll (nicht verfolgt werden soll), nicht zustimmen kann.”
Das wichtigste also in Kürze: Israels Verteidigung wird zurückgewiesen, Südafrikas Antrag wird angenommen und der Verdacht gegenüber Israel in Gaza genozidal zu handeln, wird bestätigt.
Warum das Gericht keine sofortige Waffenruhe angeordnet hat? Das bleibt der Hauptkritikpunkt. Das Gericht nahm in seiner Verkündung aber vorweg, dass es nur Maßnahmen anordnen könnte, in deren Zuständigkeit das Gericht fallen würde. Eine Waffenruhe kann das Gericht nicht erzwingen und auch nicht konkret erzwingen lassen.
Der Internationale Gerichtshof ist das höchste Gericht der Vereinten Nationen. Es hat selbst – wie die UN – keine Macht, seine Urteile zu erzwingen. Es kann aber den UN-Sicherheitsrat zwingen, sich mit dem Urteil zu befassen. Im Sicherheitsrat nutzten die USA bislang ihr Veto-Recht um eine Waffenruhe zu verhindern. Theoretisch können sie das auch jetzt wieder tun. Diesmal aber würde das bedeuten, sich gegen das höchste Gericht zu stellen. Das wäre ein extremer Imageschaden. Denn die Welt schaut zu.
War das nun das endgültige Urteil? Nein. Das war der Beschluss, der das endgültige Urteil vorwegnimmt. Konkret heißt das: Südafrikas Antrag verlangte einerseits die Verurteilung Israels, einen Genozid in Gaza zu begehen, und andererseits rasche notwendige Eingriffe anzuordnen, um genozidale Handlungen zu unterbinden. Das Gericht beschäftigte sich zunächst nur mit dem Eilantrag. Der Beschluss ist also als eine einstweilige Verfügung zu verstehen. Die Hauptfrage, Genozid oder nicht, wird wahrscheinlich noch über Jahre hinweg vor Gericht ausgetragen. Der Eilbeschluss aber bestätigt den Verdacht. Denn der Antrag Südafrikas bezieht sich auf die Genozid-Konvention und das Gericht entschied sich dafür, dem Antrag stattzugeben und Zuständigkeit dafür zu haben. Mit anderen Worten: Israels Verteidigung wurde zurückgewiesen.
Zurück zum Hauptkritikpunkt: Es wurde keine sofortige Waffenruhe angeordnet. Israels Regierung machte bereits deutlich, dass sie das Urteil nicht respektieren würde. Insofern muss unsere Bundesregierung verstehen: Sie muss nun ihre Verantwortung erkennen. Will sie weiter ein Kriegsverbrechen begehendes rechtsextremes Regime in Israel unterstützen oder wollen Bundeskanzler Scholz, Außenministerin Baerbock und Vizekanzler Habeck dem Urteil des höchsten UN-Gerichts Folge leisten und präventiv gegen die „genozidalen Handlungen“ Israels eingreifen. Deutschland hat das politische Gewicht, entsprechenden diplomatischen Druck auszuüben. Das hat Deutschland ausdrücklich bislang nicht getan, im Gegenteil. Deutschland hat Israel volle Unterstützung zugesprochen. Wie gesagt, es ist nun juristisch bestätigt, dass der Genozid-Verdacht zulässig ist. Es sind Deutschland und die USA, die diese Waffenruhe jetzt erzwingen müssen. Israel kann der Schutz der Palästinenser nicht anvertraut werden. Das muss klar sein.
Warum der Beschluss so historisch ist? Nicht nur, dass der Genozid-Vorwurf gegen Israel bekräftigt wurde, es ist ein Hoffnungsschimmer für Palästinenser, dass ihr Leid juristisch anerkannt wird. Möglich gemacht hat das Südafrika. Die Botschaft dieser Geschichte ist enorm. In weiten Teilen der Welt wird das gefeiert. Ein afrikanisches Land, das sich erst kürzlich aus der Kolonialherrschaft, in dem Fall sogar Apartheid, herauskämpfte, schafft es, einem unterdrückten Volk die nötige juristische Bühne zu geben. Es ist ein Sieg des Rechts über Unrecht.
Das heißt alles aber auch: Der symbolische Wert ist (leider) größer als der realpolitische Wert.
In einer Erklärung verkündet das Palästinensische Außenministerium, es begrüße die Anordnungen des IGH und nannte sie eine „wichtige Erinnerung” daran, dass kein Staat über dem Gesetz stehe.
Auch die Regierung Südafrikas lobt den Beschluss. Sie spricht von einem einen „entscheidenden Sieg” für die internationale Rechtsstaatlichkeit. Die Regierung dankte dem IGH für seine rasche Entscheidung und erklärte, dass sie die vorläufigen Maßnahmen begrüße und aufrichtig hoffe, dass Israel nicht versuchen werde, die Umsetzung der Gerichtsbeschlüsse zu verhindern. Das Urteil sei ein wichtiger Meilenstein auf der Suche nach Gerechtigkeit für das palästinensische Volk. Südafrika werde sich auch weiterhin im Rahmen der internationalen Institutionen für den Schutz der Rechte der Palästinenser in Gaza einsetzen.
Was hat Israel nun zu befürchten? Sollte Israel in den Augen des Gerichts nicht genug tun, um den Beschluss umzusetzen, können israelische Offizielle juristisch verfolgt werden. Das heißt, Gerichte in einzelnen Ländern könnten sich auf das IGH berufen und israelische Offizielle festnehmen. Israel hat keine Rechtfertigung für seine Verbrechen.
Worauf können Palästinenser hoffen? Israels bisheriges Vorgehen in Gaza wurde nun des Genozids verdächtigt. Das heißt, Israel müsste nach der Logik des Völkerrechts einlenken. Das ist nicht unbedingt realistisch. Aber es könnte Palästinensern in Gaza bisher fehlenden Zuspruch bringen. Zum Beispiel aus Deutschland, das nun nicht mehr Israel unterstützen kann, ohne dabei den Vorwurf ertragen zu müssen, genozidale Handlungen zu unterstützen.