Manuel Ostermann: Der Polizei-Gewerkschafter, der mit Fake News Politik macht
Manuel Ostermann ist eine der lautesten Stimmen in der sicherheitspolitischen Debatte Deutschlands. Als stellvertretender Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) und innenpolitischer Sprecher der Jungen Union NRW hat er sich eine markante Rolle erarbeitet. Nicht nur innerhalb seiner Organisation, sondern vor allem in den sozialen Netzwerken. Dort inszeniert sich Ostermann als Kämpfer für Recht und Ordnung, als Korrektiv einer angeblich naiven Politik und als Sprachrohr der Polizei. Doch immer öfter zeigen sich Risse in diesem Bild. Wer seine Äußerungen prüft, stößt auf irreführende Zahlen, frei erfundene Zusammenhänge und eine Rhetorik, die nicht mehr nur zuspitzt, sondern gezielt falsche Narrative verbreitet. Ostermann ist längst mehr als ein umstrittener Funktionär. Er ist ein Multiplikator von Desinformation.
„Jeden Tag Gruppenvergewaltigungen“ – eine dreiste Erfindung
Am 30. Januar 2025 veröffentlichte Ostermann auf der Plattform X eine Behauptung, die Wellen schlug – und sich als falsch herausstellte. Wörtlich schrieb er: „Sehr geehrte Abgeordnete von SPD, Grüne & Linke, jeden Tag gibt es Gruppenvergewaltigungen und andere schwere Sexualverbrechen in unserem Land. Diese Taten werden maßgeblich von Migranten aus den Asylhauptherkunftsländern begangen – und das jeden einzelnen Tag!“ Der Satz ist drastisch, bewusst schockierend formuliert. Und inhaltlich nicht belegbar.
Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2023 weist bundesweit 761 Fälle von Gruppenvergewaltigung (§177 Abs. 6 StGB) aus. Das entspricht rechnerisch rund zwei Fällen pro Tag, und bezieht sich auf sämtliche Tatverdächtige, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Aufenthaltstitel. Zwar waren in etwa 48 Prozent dieser Fälle nicht-deutsche Tatverdächtige involviert, doch daraus lässt sich keineswegs schließen, dass diese Taten „maßgeblich“ von Migranten oder gar Asylbewerbern aus bestimmten Ländern begangen wurden. Eine solche Differenzierung nimmt die PKS gar nicht vor. Auch das Bundeskriminalamt warnt ausdrücklich vor ethnisierenden Fehldeutungen der Statistik. Der Faktencheck von Correctiv kommt zu einem klaren Urteil: Ostermanns Behauptung ist eine „nicht belegbare, faktisch falsche Aussage“, die bewusst eine Verbindung zwischen Fluchtmigration und schweren Sexualverbrechen konstruiert, die statistisch nicht belegt ist.
Behördenfehler zur politischen Verschwörung erklärt
Im Herbst 2024 veröffentlichte Ostermann auf X ein internes Schreiben der niedersächsischen Landesaufnahmebehörde, das sich mit dem Umgang von Abschiebungen im Falle von Widerstand beschäftigte. Ostermann kommentierte es mit den Worten: „Widerstand bei Abschiebung? Kein Problem – dann setzt der Staat Sie eben auf freien Fuß. Rechtsstaat kapituliert.“ Die Interpretation war klar: Die Politik lässt Abschiebungen ins Leere laufen, sobald die Betroffenen sich wehren. Auch hier entpuppte sich Ostermanns Darstellung als gezielte Verzerrung. Denn das Schreiben war kein Beleg für eine neue Praxis oder gar politische Vorgabe. Es handelte sich um ein isoliertes Verwaltungsdokument mit missverständlicher Formulierung, wie die zuständige Behörde später klarstellte. Es wurde umgehend zurückgezogen und korrigiert.
Doch Ostermann verbreitete den Eindruck eines systematischen Staatsversagens – entgegen der Faktenlage. Die Desinformation hatte bereits ihren Weg in rechte Netzwerke und Foren gefunden, als die Klarstellung erschien. Wieder wurde ein Einzelfall zu einem Symbol hochstilisiert, mit dem Ziel, Angst zu schüren und das Vertrauen in staatliche Institutionen zu untergraben.
Migration, Messer, Kriminalität – die Verkürzung zur politischen Waffe
In seinen Aussagen zu Migration und Kriminalität folgt Ostermann einem einheitlichen Muster: Er greift reale statistische Befunde heraus und überführt sie in ein simplifiziertes Schuldnarrativ. In einem LinkedIn-Post vom März 2025 schrieb er: „Die Migrationskrise ist längst zur Kriminalitätskrise mutiert. Die Zahl der Gewaltdelikte, der Messerangriffe, der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung – hier sind nicht-deutsche Täter überall deutlich überrepräsentiert.“
Tatsächlich weist die PKS 2023 aus, dass in manchen Deliktbereichen nicht-deutsche Tatverdächtige überproportional häufig vertreten sind – etwa bei Sexualdelikten mit rund 41 Prozent. Doch Kriminologen wie Prof. Christian Pfeiffer weisen regelmäßig darauf hin, dass diese Zahlen ohne Kontext irreführend sind. Entscheidend für die Kriminalitätsbelastung seien Alter, Geschlecht, soziale Lage – nicht allein die Herkunft. Junge, alleinstehende Männer in prekären Verhältnissen sind überall auf der Welt häufiger tatverdächtig, völlig unabhängig von Nationalität. Die einfache Gleichung „mehr Migration = mehr Kriminalität“ ist wissenschaftlich nicht haltbar.
Selbst die Bild-Zeitung, in der Ostermann regelmäßig unkritisch zitiert wird, stellte in einem begleitenden Faktencheck fest, dass sich seine Pauschalurteile „statistisch so nicht ableiten lassen“.
Suggestion statt Beweis: Der Angriff auf Sawsan Chebli
Besonders aggressiv zeigte sich Ostermann im Januar 2025 in seiner Reaktion auf ein Instagram-Posting der SPD-Politikerin Sawsan Chebli. Diese hatte erklärt: „Demografie wird Fakten schaffen.“ Ostermann interpretierte das als demografischen Umsturz und schrieb auf X: „Meinen Sie damit, dass Deutschland aufhören soll, Deutschland zu sein? Oder dass jüdisches Leben in Deutschland bald enden wird?“ Diese Unterstellungen – ohne Grundlage, ohne Nachfrage – dienten einzig dazu, Chebli zu diskreditieren. Die Welt bezeichnete seine Aussagen als „demagogisch“ und als Versuch, aus einem neutralen Satz eine antisemitische Agenda zu konstruieren. Auch Vertreter aus CDU und FDP distanzierten sich von Ostermanns Äußerung.
Radikalisierung der Sprache – auch gegenüber Demonstrierenden
Zunehmend radikalisiert Ostermann auch seine Wortwahl gegenüber gesellschaftlichen Gruppen. Im Zusammenhang mit Demonstrationen gegen Israels Genozid in Gaza forderte er, Diensthunde bei Polizeieinsätzen „nicht mehr mit Maulkorb“ zu führen und beschrieb Demonstrierende pauschal als „gewaltbereite Antisemiten, die unser Grundgesetz missbrauchen“. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International reichte daraufhin eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein, in der von „rassistischer, menschenverachtender, hetzerischer Sprache“ die Rede ist. Ostermann unterstelle ganzen Gruppen Gewaltbereitschaft und Terrornähe, ohne Beweise – ein Missbrauch seiner Stellung als Polizei-Vertreter. Und ein Angriff auf die Zivilgesellschaft und ihre Grundfreiheiten.
Interne Kritik und rechtliche Prüfungen
Auch aus den eigenen Reihen wächst der Widerstand. Kevin Komolka, Landesvorsitzender der GdP Niedersachsen, warnte öffentlich: „Die Polizei darf nicht als populistisches Sprachrohr missbraucht werden. Wer tägliche Gruppenvergewaltigungen als Argument für Asylpolitik nutzt, handelt ohne jede statistische Grundlage.“ Amnesty International wirft Ostermann in ihrer Beschwerde nicht nur Verbreitung von Falschinformationen vor, sondern auch einen eklatanten Verstoß gegen seine beamtenrechtliche Neutralitäts- und Zurückhaltungspflicht.
Der Medienbeobachter Übermedien bezeichnete Ostermann bereits 2024 als „rechten Polizei-Influencer“, der polarisierende Inhalte verbreitet, aber von klassischen Medien oft als neutrale Stimme behandelt werde. Die CDU-nahe Gesinnung Ostermanns, seine regelmäßigen Auftritte bei Bild-TV, Welt oder im Umfeld des rechten Meinungsmilieus seien längst Teil einer Kampagnenstruktur – nicht bloß Einzelmeinungen eines Gewerkschafters.
Das zerstörte Vertrauen
Was Ostermann als „klare Kante“ verkauft, ist bei genauerem Hinsehen eine gezielte Strategie: Er konstruiert Bedrohungsszenarien, stützt sie auf halbe Wahrheiten oder falsche Statistiken und verpackt sie in polarisierende Sprache. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist nicht nur der Wahrheitsgehalt, sondern auch das Vertrauen in eine Polizei, die eigentlich neutral, objektiv und faktenbasiert handeln muss. Wenn ein hoher Funktionär wie Ostermann im Gewand der Polizeigewerkschaft nachweislich Falschaussagen verbreitet, beschädigt er nicht nur politische Debatten – er beschädigt die Polizei selbst.
Manuel Ostermann ist damit nicht einfach nur ein meinungsstarker Gewerkschafter. Er ist zu einem Akteur geworden, der systematisch mit Fake News arbeitet. Seine Äußerungen sind keine Zufälle oder Übertreibungen mehr – sie folgen einer klaren, ideologischen Agenda. Es ist Zeit, ihn als das zu benennen, was er längst geworden ist: ein politischer Propagandist in Uniform.