Die 10 Phasen eines Genozids wurden 1987 von Gregory Stanton erstellt. Professor Stanton ist Mitgründer und Vorsitzender der Genocide Watch und nach wie vor einer der renommiertesten Professoren für Vergleichende Völkermordforschung und Völkermordprävention.
In seiner Publikation „Die 10 Phasen eines Genozids“ beschreibt er die Phasen eines Genozids als Vorhersehbar, jedoch nicht unumstößlich. Der Prozess, bzw. die Entwicklung der Phasen verläuft nicht zwingend linear, sondern kann auch simultan entstehen. Üblicherweise bestehen die einzelnen Phasen auch bis zum Ende des Prozesses.
- Klassifizierung
Alle Kulturen haben Kategorien, um Menschen nach ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität in „wir“ und „sie“ einzuteilen. Der Deutsche und der Jude. Die Hutu und die Tutsi. Es gibt noch etliche weitere Beispiele.
- Symbolisierung
Klassifizierungen werden mit bestimmten Namen oder Symbolen versehen. Grundsätzlich ist die Verknüpfung von klassifizierten Gruppen mit bestimmten Symbolen nicht unbedingt eine Stufe des Völkermords, vor Allem da bestimmte Gruppen von Menschen sich auch selber Symbole zuschreiben. Dennoch dienen solche Symbole oder Spitznamen oft der Entmenschlichung. Kombiniert mit Hass und/oder Abwertung, können Symbole unerwünschten Gruppen mit Gewalt aufgezwungen werden.
- Diskriminierung
In dieser Phase spielen Machtdynamiken eine Rolle: Eine dominante Gruppe missbraucht Gesetze oder soziale/politische Macht, um anderen Gruppen ihre Rechte zu verweigern. Die dominante Gruppe wird von einer andere Menschen ausgrenzenden Ideologie getrieben, welche die Ausgrenzung, bzw. die ungerechte Behandlung dieser anderen Menschen legitimiert.
- Entmenschlichung
Eine Gruppe leugnet die Menschlichkeit der anderen Gruppe. Dieser werden nicht nur Rechte aberkannt, sondern man setzt sie mit Tieren, Ungeziefer, Insekten oder Krankheiten gleich. Damit wird die normale menschliche Abscheu vor dem Morden überwunden. In dieser Phase werden herkömmliche Medien für weitere Verunglimpfung der diskriminierten Gruppe genutzt um diese weiter herabzuwerten. Gleichzeitig wird der dominanten Gruppe eingetrichtert, andere als Minderwertig zu betrachten. Vor allem der Gedanke von Erlösung, sprich des Gedankens von „ohne sie sind wir besser dran“ wird in den Fokus gestellt. Dies hat in der Geschichte bereits zu einer solchen Herabwertung und auch Gleichstellung mit Schmutz, Unmoralität oder Unreinheit geführt, dass den Menschen Nummern anstatt Namen zugeordnet wurden.
- Organisation
Jeder Völkermord ist organisiert – meistens vom Staat. Oft benutzt dieser aber auch Milizen, um die staatliche Verantwortung zu leugnen. Spezielle Armeeeinheiten werden trainiert und bewaffnet. Außerdem werden erste Pläne für einen Völkermord geschmiedet.
- Polarisierung
Die Verbreitung von Propaganda nimmt zu. Extremisten spalten die Allgemeinheit und nutzen dafür Massenmedien. Gesetze werden erlassen, um soziale Interaktion oder sogar Ehe einzuschränken. Jene aus der dominanten Gruppe, welche das Unheil noch abwenden könnten und moderat eingestellt sind, werden entsprechend verfolgt oder beseitigt. Auch führende Personen der diskriminierten Gruppe werden verhaftet oder beseitigt. Die dominante Gruppe fokussiert den Aufbau von totaler Macht und Kontrolle. Es gibt nur noch Freund oder Feind.
- Vorbereitung
Durch Hetze wird Angst vor dem Opfer geschürt. In dieser Phase verharmlost man die Absicht und spricht z.B. von „Terrorismusbekämpfung“ oder „Reinigung“ oder auch der „Endlösung“ in der jeweiligen Juden-, Armenier-, Tutsi-„Frage“ – oder wie die betroffene Gruppe auch heissen mag. Die gezielte Bewaffnung beginnt. Auch wird das Framing verschärft und Angst vor der anderen Gruppe geschürt. Genozid wird oft als „Selbstverteidigung“ deklariert. Es gibt einen ruckartigen Anstieg von tendenziöser Propaganda und anstachelnder Rhetorik. Politische Versuche zu vermitteln oder Frieden herzustellen, welche die totale Kontrolle der dominanten Gruppe gefährden, können in dieser Phase den Genozid weiter triggern.
- Verfolgung
Die Opfer werden durch ihre nationale, ethnische oder religiöse Zugehörigkeit identifiziert und gefiltert, es entstehen Todeslisten. Systematische Menschenrechtsverletzungen wie Tötung, Folter und Zwangsvertreibung finden statt. Die Menschen werden manchmal in Gettos isoliert oder in Konzentrationslager deportiert. Eigentum wird enteignet. Es werden Programme gestartet, um eventueller Fortpflanzung entgegenzuwirken. Massaker beginnen. Diese werden schon als Genozid eingestuft, da ihnen die Intention einen Teil einer bestimmten Menschengruppe auszulöschen zu Grunde liegt. Die dominante Gruppe achtet genau auf die Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft auf jedwede Verbrechen. Sollten diese verhalten wirken oder sogar ausbleiben, wird ihnen bewusst, dass diese erneut nur Zeugen eines Genozids werden.
- Vernichtung
Die Vernichtung entwickelt sich schnell zu Massenmord, der rechtlich als Völkermord bezeichnet wird. Hin und wieder kommt es vor, dass es zu Racheakten in großer Zahl. Dieser Gewaltzyklus kann zu beidseitigem oder bilateralem Genozid führen, wie in Burundi. Das Ziel ist, die Mitglieder der Zielgruppe zu töten. Auch die Zerstörung kultureller und religiöser Güter, um so die Existenz der Gruppe aus der Geschichte auszulöschen. Auch die Vergewaltigung von Frauen und Mädchen wird zur Waffe. In jedem modernen Genozid waren Massenvergewaltigungen ein Bestandteil.
- Leugnung
Die Leugnung zieht sich durch den gesamten Prozess des Völkermords hindurch und folgt immer auf ihn. Massengräber werden zerstört, Leichen verbrannt, Beweise vernichtet und Zeugen eingeschüchtert. Die eigenen Verbrechen werden geleugnet und den Opfern die Schuld an den Geschehnissen gegeben. Die Ermittlungen zu den Verbrechen werden blockiert und verantwortliche Politiker bleiben weiterhin in der Regierung oder anderen Entscheidungspositionen.