Der palästinensische Journalist Anas Al-Sharif wurde gezielt von Israel ermordet. Mit ihm fünf weitere Journalisten. Israel stellt ihn als Terroristen dar. Aber Israel lügt.
Anas Al-Sharif war Journalist. Punkt. Mit diesem Satz müsste die Argumentation enden. Denn alles andere entbehrt jeder Logik. Bedauerlicherweise ist Logik nicht die treibende Kraft in diesem Propagandakrieg, den Israel nach Europa exportiert. Nur wenige Stunden nach der Ermordung dieses Journalisten muss erneut bewiesen werden, dass es sich auch bei diesem Journalisten um einen Journalisten handelte. Dabei ist es simpel. Anas Al-Sharif war Korrespondent von Al-Jazeera, dem einzigen Sender mit dauerhafter Live-Schalte nach Gaza. Anas war live, omnipräsent, immer erreichbar. Von morgens bis abends sah man ihn hinter der Kamera, las man seine Beiträge oder konnte ihn anrufen. Es gibt keinen Job, den man nebenher machen könnte. Nur eine Stunde vor seiner Ermordung war er live auf Sendung. Er war Journalist. Und in dieser Funktion wurde er getötet. Das Völkerrecht ist glasklar: Es gibt nur zwei Kategorien, in die man fallen kann. Zivilist oder Kombattant. Ein Kombattant ist jemand, der sich an Kampfhandlungen beteiligt. Alle anderen sind Zivilpersonen. Wer mit einem Mikrofon in der Hand Bericht erstattet, ist Zivilist.
Nach dem humanitären Völkerrecht ist das gezielte Angreifen von Journalisten verboten: Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen (1977), Artikel 79 stellt klar, dass Journalisten in bewaffneten Konflikten als Zivilpersonen gelten und geschützt werden; Artikel 51 und 57 verpflichten zur Unterscheidung, Verhältnismäßigkeit und Vorsicht bei Angriffen, wodurch Medienpersonal und -einrichtungen geschützt sind; Genfer Abkommen III (1949), Artikel 4A(4) und 13(4) gewähren akkreditierten Kriegsberichterstattern bei Gefangennahme Kriegsgefangenenstatus und damit Schutz vor Angriffen; das Gewohnheitsrecht des IKRK, Regel 34, bestätigt den Schutz von Journalisten; UN-Sicherheitsratsresolution 1738 (2006) verurteilt gezielte Angriffe auf Journalist:innen und fordert ihre Achtung und Sicherheit in Konfliktzonen.
Israel hat 236 Journalisten in Gaza im Rahmen des laufenden Genozids getötet. Nie in der Geschichte der Menschheit wurden so viele Journalisten getötet. Beide Weltkriege zusammen waren nicht so tödlich für die Presse. Und immer wieder, wenn Israel Journalistinnen und Journalisten in Gaza tötete, hieß es, sie wären „Terroristen“ gewesen. Beweise gibt es dafür nie. Wirklich nie.
Bevor man überhaupt auf Israels Behauptungen eingeht, sollte man festhalten, was unbestreitbare Wahrheit ist: Anas Al-Sharif war am Tag seiner Ermordung der bedeutsamste Journalist in Gaza. Und Al-Jazeera war das wichtigste verbliebene Medium in Gaza. 430 Millionen Menschen sollen Medien der Al Jazeera Gruppe sehen. Das ist Gazas letzter großer Zugang zur Welt. Neben Anas Al-Sharif wurde das gesamte Al-Jazeera-Team getötet. Es war ein gezielter Angriff auf ihr Pressezelt vor dem Shifa-Krankenhaus im Norden Gazas. Warum ausgerechnet jetzt? Israel hat eine Invasion auf Gaza-Stadt angekündigt. Ein Überfall, dessen Schrecken Israel nicht an die Welt gesendet sehen will. Also machte Israel jetzt das, was Israel lange ankündigte. Bereits im November 2023 erhielt Al-Sharif Drohanrufe von israelischen Armeeangehörigen. Er solle „aufhören zu reden“ oder würde „sterben“. Am 22. November 2023 dann tötete Israel Anas Al-Sharifs Vater, einen 90-jährigen Senioren. Das Kommittee zum Schutz von Journalisten (CPJ) zeigte sich damals „zutiefst alarmiert über die Tatsache, dass Journalisten in Gaza immer wieder berichten, dass sie Drohungen erhalten und anschließend ihre Familienangehörigen getötet werden.“ Dabei blieb es aber nicht. Im Oktober 2024 veröffentlichte die israelische Armee gefälschte digitale Dateien, wonach Al-Sharif angeblich Hamas-Mitglied sei. Daraufhin veröffentlichte Reporter ohne Grenzen (RSF) eine Erklärung, in der sie die Vorwürfe Israels als „unbegründet“ verurteilte und erklärte, dass die Veröffentlichung angeblicher Dokumente, die Al-Jazeera-Journalisten mit der Hamas in Verbindung bringen, weder einen ausreichenden Beweis noch eine Lizenz zum Töten darstelle. Sie forderten den Schutz von Journalisten und warnten vor einem Informationsverlust in Gaza aufgrund der gezielten Angriffe auf Medien.
Der arabische Sprecher der israelischen Streitkräfte, Avichay Adraee, bezeichnete Al-Sharif im Juli 2025 nach dessen Post, in dem er sich für eine Waffenruhe aussprach, öffentlich als „Sprachrohr des intellektuellen Terrorismus“. Kurz darauf veröffentlichte die israelische Armee en weiteres Video, in dem Al-Sharif der Terrorpropaganda bezichtigt wurde, weil er Bilder einer Hungerkrise in Gaza zeigte. 31. Juli 2025: Die UN-Sonderberichterstatterin für Meinungsfreiheit, Irene Khan, sagte am 31. Juli 2025 noch: „Ich bin zutiefst alarmiert über die wiederholten Drohungen und Anschuldigungen der israelischen Armee gegen Anas Al-Sharif. Journalisten in Gaza wurden von der israelischen Armee aufgrund unbegründeter Behauptungen, sie seien Hamas-Terroristen, gezielt angegriffen und getötet. Morde, Angriffe, willkürliche Verhaftungen und Schikanen gegen palästinensische Journalisten sind Teil einer gezielten Strategie Israels, die Wahrheit zu unterdrücken. Ich fordere alle Staaten auf, angesichts dieser eklatanten Angriffe auf Journalisten nicht zu schweigen.“
Der Journalist war Israel ein Dorn im Auge. Weil er berichtete. Nie schoss Anas eine Rakete ab, nie war er ein bewaffneter Kämpfer oder in Kampfhandlungen verwickelt. Die Welt sah Anas Al-Sharif live bei seiner Berichterstattung zu. Und das gefiel Israel nicht.
Es ist eine Schande, dass man diese Propaganda überhaupt in die Schranken weisen muss, aber Als Hauptvorwurf dienen angebliche Hamas-Mitgliederlisten, die das israelische Militär veröffentlicht hat. Es handelt sich um Fälschungen. Mehrere Dinge sind auffällig. Anas Al-Sharif wird einmal als „Soldat“, einmal als „Gruppenkommandant“ und einmal sogar als Mitglied der Elite-Einheit Nukhba aufgeführt. An anderer Stelle behauptet die israelische Regierung, er sei Teil der „fortgeschrittenen Raketen-Einheit“. In einer Version sei er Teil des „Nuseirat Bataillons“, in einer anderen Version dann doch „Artillerie Bataillon der nördlichen Brigade“. Viele große Worte, und kein einziger klitzekleiner Beleg.
Wann er angeblich Teil der Hamas geworden sein soll? Diesmal scheint Israel beim Ausdenken es Datums besonders faul gewesen zu sein. Der 3. Dezember 2013. Laut Dokument auch sein Geburtstag. Sein 17. Geburtstag. Und Hamas erlaubt die Mitgliedschaft erst ab 18 Jahren. Aber nicht einmal der Geburtstag stimmt. Es ist tatsächlich nämlich der 6. Dezember.
Der größte Widerspruch ist aber ein anderer. In einem Dokument heißt es, er sei seit 2017 kampfunfähig aufgrund einer Verletzung. Damit würde Israel zugeben, dass Anas Al-Sharif eben nicht Kombattant war. Auch steht in einem Dokument, sein “Gehalt” sei “eingefroren”. Trotzdem behauptet die israelische Armee, Anas Al-Sharif hätte “sein Gehalt von der Hamas erhalten”. Dokumente fälschen und sich dann falsch auf sie beziehen; Israels Propaganda ist das, was sie immer ist. Lächerlich.
Tatsächlich echte Fotos von Anas Al-Sharif als heranwachsender Journalist mit Politikern der Hamas werden als Beweis seiner Zugehörigkeit zur Hamas verbreitet. Ergibt sich daraus, dass jeder, der ein Foto mit dem gesuchten Verbrecher Netanyahu hat, nun getötet werden darf? Unterstützen pro-israelische Stimmen damit einen Mordaufruf gegen Bundeskanzler Merz, der an der Seite Netanyahus lächelte? Nein, auch solche Fotos legitimieren keinen Mord. Sie sagen auch nicht das aus, was Israels Propaganda aus ihnen macht. Der politische Arm der Hamas stellte bis zuletzt die Regierung in Gaza. Mit Einverständnis Israels. Natürlich kommen Journalisten in Berührung mit Regierungsfiguren, wenn sie Informationen suchen. Ich bin kein AfD-Mitglied, wenn ich mich mit AfD-Politikern zum Interview treffe. Und ich bin kein Genozidunterstützer, wenn ich israelische Offizielle zur Debatte treffe. Die Pressefreiheit besteht unter anderem auch deshalb, damit Journalistinnen und Journalisten nicht in Kontaktschuld stehen, sondern umfassend Informationen zusammentragen, Meinungen abbilden und Gesellschaften präsentieren können. Es gibt keine Verpflichtung, neutral zu sein. Solange die journalistische Sorgfalt eingehalten wird, dürfte man sonst welche politischen Einstellungen haben.
Palästinenser aber müssen perfekt sein. Der palästinensische Autor Mohammed El-Kurd nennt es, “perfekte Opfer”. Anas Al-Sharif soll in seinem Telegram-Kanal am 7. Oktober Hamas-Kämpfer als „Helden“ bezeichnet haben, behaupten Propaganda-Kanäle mit Bezug auf einen vermeintlichen Screenshot. Der Beitrag lässt sich nicht verifizieren. In seinem Telegram-Kanal lässt sich keine solche Äußerung am 7. Oktober finden. Israelische Propagandakanäle behaupten, den Text archiviert zu haben. Bei dem vermeintlichen Beweis kann es sich aber auch um einen fabrizierten Screenshot handeln, denn Anas Al-Sharif publizierte zu der Zeit nichts auf Englisch. Ein anderer angeblicher Screenhot des Arabischen zeigt, dass die Behauptung obendrein schlecht übersetzt ist.. So müsste es beispielsweise heißen, die Hamas-Kämpfer würden “kämpfen”, nicht “töten”.
Sollte der Screenshot echt sein, zeigt aber auch das keine Zugehörigkeit zur Hamas. Was soll er denn nun sein? Mitglied oder Fan? Grundsätzlich wissen Beobachter Gazas, dass bis zum Abend allgemein nicht bekannt war, was am 7. Oktober genau geschehen ist. Es herrschte die weitverbreitete Annahme, es hätte lediglich eine erfolgreiche Militäroperation von militanten palästinensischen Gruppen gegen die israelische Armee gegeben. Laut israelischen Angaben wurden bei Kämpfen auch 379 israelische Sicherheitskräfte getötet. Dass es auch Verbrechen gegen Zivilisten gab, wurde im Laufe des Abends klarer. Das heißt, selbst im Falle, dass der Screenshot echt ist, würde er lediglich eine Hoffnung auf militärisches Gleichgewicht zeigen, die ein 26-Jähriger, der Gaza nie verlassen durfte, und seine Familienangehörige durch israelische Bombardierungen verloren hat, kurzzeitig empfunden haben könnte. Nirgendwo lassen sich Äußerungen Al-Sharifs finden, in denen er Gewalt gegen Zivilisten gutheißt.
Selbst wenn Anas Al-Sharif irgendeine Verbindung zur Hamas gehabt hätte, legitimiert das nicht seine Ermordung. Denn er war nach Völkerrecht – wie gesagt – kein Kombattant, sondern Zivilist. Auch Mitarbeiter israelischer Pro-Genozid Propagandamedien sind kein legitimes Ziel. Selbst ein Kombattant, der außerhalb von Kampfhandlungen zivilen Tätigkeiten nachgeht oder ein ehemaliger Kombattant sind Zivilisten. Und dürfen nicht angegriffen werden. Kurz: Wer keine Waffe trägt und wer nicht schießt, darf nicht erschossen werden. Das heißt, selbst im absurden Szenario, in dem Anas Al-Sharif in der Vergangenheit Teil der Hamas gewesen wäre oder die Hamas gut gefunden hätte, bleibt er ein Zivilist und Berichterstatter und genießt somit völkerrechtlich Schutz vor Angriffen. Israel hat ihn ermordet. Er lebt nicht mehr und kann sich gegen die Hetzkampagne nicht wehren.
Die journalistische Ehre gebietet es, ihn zu verteidigen. Es ist somit völlig egal was Israel behauptet. Die Realität steht Israels Propaganda entgegen. Wenn deutsche Medien das nicht verstehen, sind sie weniger Presse als der Schatten Al-Sharifs es war.