Wer den Holocaust leugnet, der verschreibt sich der Lüge und der Ungerechtigkeit. Und er begibt sich auf eine Stufe mit jenen, die andere Genozide leugnen, etwa jene in Srebrenica oder Gaza.
„Deutschland hat nicht sechs Millionen Juden getötet“.
Das ist der kurze Wortlaut eines englischen Beitrags auf X (Twitter), der innerhalb kürzester Zeit fast 100.000 Likes erhalten hat. Nur 80 Jahre nach der Nazizeit ist es wieder leicht geworden, die Verbrechen Nazi-Deutschlands zu leugnen und zu relativieren. Die Wirren des Internets machen die Verbreitung von Aussagen möglich, die sonst – im echten Leben – nur von Leuten kämen, die man als Quatscher kennt. Das Internet macht sie aber berühmt. Auch weil sie sich als vermeintliche Stimmen für Gaza präsentieren wollen. Hochstapler, Zuhälter und Porno-Darsteller wie Dan Bilzerian, von dem der Beitrag stammte, oder Andrew Tate. Ihnen geht es nicht um Gerechtigkeit. Oder um Gaza. So spricht Gaza nicht, so ist Gaza nicht. Dass solche Leute Reichweite haben, ist ein Problem für sich. Dass sie in solch sensible Themen eingreifen, ist hinzukommend gefährlich. Sie verderben jene, die ihre Aussagen aufsaugen.
Im Zuge des israelischen Genozids in Gaza wurden Stimmen bekannter, die zwischen Kritik an Israel und Feindseligkeit gegenüber Juden nicht zu unterscheiden wissen. Oder es nicht wollen. Die Radikalisierung ist ein Kreislauf. Pro-israelische Genozidleugner setzen Israel und Juden gleich und nennen Kritik an Israel „Antisemitismus“ und Radikale auf der anderen Seite setzen Israel und Juden gleich, indem sie ihre Empathie für jüdische Opfer von Gewalt verlieren. Letzteres ist in Deutschland kein massenhaftes Phänomen. Doch wenn es normal geworden ist, dass AfD-Kreise und andere rechte Agitatoren die Geschichte umdeuten und behaupten, die NSDAP wäre links und nicht rechts gewesen, dann sollten wir uns auch hierzulande Sorgen machen, dass das Verständnis davon, was die Verbrechen der Nazis waren, im Kern hinterfragt wird. Die Nazis waren nicht harmloser, als wir denken, sie waren nicht die Guten und sie waren auch nicht missverstanden.
„Mutawātir“.
Holocaustleugnung untergräbt den Islam, titelte der muslimische Gelehrte Hamza Yusuf bereits 2007. Der US-amerikanische Gelehrte argumentiert, dass Holocaustleugnung gegen das Wesen des Wissens ginge. Er greift dafür auf ein zentrales Konzept aus der muslimischen Überlieferung zurück: „Mutawātir“. Das bedeutet, dass eine Information von so vielen unabhängigen Quellen überliefert wird, dass ihr Wahrheitsgehalt außer Zweifel steht. Der Holocaust, so Hamza Yusuf, ist genau so ein Fall. Wir haben Zeugenaussagen von Überlebenden. Von Tätern. Von Zuschauern. Wir haben Bilder. Dokumente. Prozesse. Es gibt nichts an dieser Realität, das noch „unsicher“ wäre. Die Nazis haben ihre Tötungsabsicht unmissverständlich verlautbart. Alle Bedingungen, die heute in der Genozidforschung als Grundlage gelten, sind erfüllt.
In der Hadith-Wissenschaft gilt eine Überlieferung als sicher, wenn sie von glaubwürdigen Personen bezeugt wird. Bezeugen mehrere glaubwürdige Personen die Aussage unabhängig voneinander, untermauert das die Feststellung, dass es sich um eine Wahrheit handelt.
Bezüglich des Holocausts oder anderer Verbrechen der Nazis gibt es recht wenig offene Fragen. Es gibt keine historische Epoche, die so intensiv beleuchtet und dokumentiert wurde. Es gilt als sicher, dass den Völkermorden Nazi-Deutschlands ca. 6 Millionen Juden (darunter rund 3 Millionen polnische Juden), ca. 3 Millionen russische Gefangene, 2 Millionen Polen, 500.000 Sinti und Roma, 300.000 Menschen mit Behinderungen. Es war ein Abschlachten des Menschlichen, ein Abschlachten der Vielfalt. Tod durch Schießkommandos, Tod durch Vergasung, Tod durch Aushungern, Tod durch Erhängen. Ein barbarisches Abschlachten von Alt und Jung, von Frauen, Kindern und Männern.
Lügen
Diese Menschen wurden getötet, weil der Nationalsozialismus in ihren „Untermenschen“ sah. Der deutsche „Herrenmensch“ stünde über ihnen und brauche Lebensraum zu seiner Entfaltung und zu seiner Sicherheit. Deutschland schlachtete seine gesamte Vielfalt und seinen Intellekt barbarisch ab. Deutschland und die Antwort auf die Frage, was Deutsch ist, sahen mal anders aus als geschichtsverdrossene Rassisten heute tun wollen. Eben jener Rassismus, der schon damals wütete, ist auch heute noch lebendig. Wer will ihn leugnen? Wer will leugnen, dass es ihn heute gibt, und dass es ihn damals genauso sinnfrei und hässlich gab?
Das sind Fakten, die keine seriöse Gegenthese haben. Es gibt in der Forschung minimale Diskrepanzen, was die detaillierten Zahlen angeht. Das liegt vor allem an dem unüberschaubaren Charakter der ungezügelten Gewalt. Auch Behauptungen wie, die Zahl der Getöteten sei runter korrigiert worden, ist falsch. Oft basieren solche Missverständnisse auf Halbwahrheiten. Hierbei handelt es sich etwa um den Umstand, dass die Sowjetunion die Zahl der getöteten Auschwitz-Insassen von 4 Millionen auf 1,1 Millionen korrigierte. Wichtig für das Verständnis: Die Zahl Sechs Millionen hat sich aber nie auf die zuvor behaupteten 4 Millionen der Sowjetunion bezogen. Auch die europäische Forschung geht von 1,1 Millionen Opfern in Auschwitz aus. Zusammengerechnet mit den anderen Lagern und Tötungen kommt die Zahl 6 Millionen zustande.
Hand aufs Herz, wie fühlt es sich an, in einem solchen Thema Zahlen derart auf die Waagschale zu legen? Falsch, oder? Seltsam vertraut, oder? In zwei Jahren Genozid in Gaza wurde konstant die Zahl der Toten geleugnet. Wie wir heute wissen: Das war gezielte Propaganda der Leugnung.
Wer Fakten leugnet, lügt. Oder ist entschuldbar unfähig, den Fakt zu erkennen. Dass Wasser nass ist, ist ein Fakt. Wenn einem die sensorischen Fähigkeiten fehlen, das zu erkennen oder zu verstehen, ist man entschuldigt. Für alle anderen gilt: Wer Fakten leugnet, lügt. Oder – und das muss man in diesem Fall eben auch feststellen, man ist unanständig und dumm.
Hamza Yusuf argumentiert, dass es sich bei Holocaustleugnung also um das Festhalten an einer Lüge handelt. Im übertragenen Sinne ist das wie ein Dieb, der trotz der Überführung weiter behauptet, nicht gestohlen zu haben.
Gerechtigkeit
Aber auch Hamza Yusuf macht keinen Punkt bei der Frage der Quellenlage und Wahrheit. Holocaustleugnung ist auch deshalb falsch, weil es Ungerechtigkeit gegenüber den Opfern ist. Allahs letzte Offenbarung, der Koran, und Allahs letzter Gesandter, der Prophet Muhammad, Allahs Frieden und Segen auf ihm, mahnen zur Gerechtigkeit.
Selbst im äußersten menschlichen Fall, wenn man nun durch Propaganda zerfressen vom Freund-Feind-Denken ist, ruft Allah im Koran auf: „O die ihr glaubt! Seid standhaft für Allah und seid Zeugen für die Gerechtigkeit. Und die Abneigung eines Volkes soll euch nicht davon abhalten, gerecht zu handeln. Seid gerecht – das steht der Gottesfurcht näher.“ (5:8)
Lüge und Wahrheit sind nicht gleich. Und sie stehen nicht in einer Konkurrenz. Ausnahmslos alle seriösen Historiker dieser Zeit sind sich einig, dass die Quellenlage eindeutig beweist, dass der Holocaust so stattgefunden hat, wie er uns gelehrt wird.
Die Zeit schreitet voran und die Zeitzeugen sterben. Eine direkte Begegnung mit Menschen, die die Wahrheit selbst erlebten, wird immer seltener. Uns bleibt nur die Verteidigung der Wissenschaft und Forschung. Tun wir das nicht, werden diejenigen, die die Nazi-Verbrechen nicht nur leugnen sondern auch wiederholen wollen leichtes Spiel haben.
Holocaustleugnung ist Haram. Weil lügen haram ist. Weil Ungerechtigkeit haram ist. Und weil Rassismus haram ist.
Wer den Holocaust leugnet, der leugnet die Tatsachen, die Genoziden zugrunde liegen. Das heißt auch, dass jeder, der den Holocaust leugnet, den Genozid in Gaza oder den Genozid in Srebrenica, oder jene in Ruanda, Darfur, Shingal oder Myanmar leugnet. Und ja, ich würde so weit gehen, zu sagen, dass jeder, der den Genozid in Gaza leugnet wie ein Holocaustleugner ist. Man leugnet keine Genozide. Das machen anständige Menschen nicht. Anständige Menschen stehen an der Seite der Opfer. Wenn nicht zu Lebzeiten, dann in Gedenken.